Als ich angehende Sprach- und Literaturwissenschaftlerin an meiner Dissertation über das Reisen als Identitätssuche (Universität Florenz) arbeitete, lernte ich den jungen Autor Franco Supino im Rahmen seiner Lesung in Aarburg kennen. Es war eine dieser Begegnungen, die sich von Anfang an gut anfühlen. Uns verband einiges: die Liebe zur Sprache, zur Italianità, zur Literatur, und nicht zuletzt, unser beider Migrationsbackground. Beide Secondos, beide zwischen und mit zwei Kulturen aufgewachsen und mit der Thematik Identität konfrontiert, beide in der Schweiz und im Ausland – in Florenz – studiert.
Später sollten sich unsere Wege mehrmals kreuzen. Ich schrieb weitere Artikel über Franco. Wir wurden eine zeitlang Kollegen an der Pädagogischen Hochschule FHNW in Solothurn, wo wir beide als Dozenten unterrichteten. Über die Jahre habe ich sein weiteres literarisches Schaffen sehr zu schätzen gelernt.
Nachfolgend mein erster Artikel und Rezension über Franco Supino, erschienen in ZT / AZ Medien / CH Media.
”Musica Leggera” mit Franco Supino
Autorenlesung im Gasthof Bären in Aarburg
Der junge Autor Franco Supino aus Solothurn las im Rahmen des ersten ”Dîner Littéraire” der Volkshochschule Region Zofingen aus seinem Erstlingswerk Musica Leggera vor. Ein kulinarisch-literarisch-musikalisches Ereignis in gepflegtem Rahmen.
Gestern Abend, 24. Oktober 1996, fand im Gasthof Bären in Aarburg das erste ”Dîner Littéraire” der Volkshochschule Region Zofingen statt. Eingeladen wurde der junge Schriftsteller Franco Supino, der den Abend mit der Lesung aus Musica Leggera, seinem Erstlingsroman, zu einem eindrücklichen Erlebnis machte.
Supino spricht allen jungen Italiener*innen, die in der Schweiz geboren und aufgewachsen sind, aus dem Herzen. Marias Geschichte die hier erzählt wird, ist diejenige aller Kinder der zweiten Generation, die mit den Liedern der cantautori aufgewachsen sind. Sie sind hin- und hergerissen zwischen zwei Kulturen, jeder wollen sie es gut machen. Erwartungen der Eltern, der Mutter, sich doch endlich einen anständigen Partner suchen zu wollen, wobei anständig hier ”italienisch” wenn nicht sogar paesano also von der gleichen Gegend der Eltern heisst. Die Tradition des Ursprungslandes soll dabei beibehalten, weitergeführt werden, um die ”italienische” Identität nicht zu verlieren. Haben denn die figli della seconda generazione denn wirklich eine Identität? Dies wird anhand der Geschichte von Maria, ihren Lebens- und Leidenserfahrungen, und deren des Ich-Erzählers, veranschaulicht. Es handle sich jedoch nicht um ein rein autobiographisches Werk, wie der Autor im Gespräch erwähnte, denn der Ich-Erzähler sein nur aus strukturellen Gründen eingefügt worden.
Für jeden eine Maria (oder einen Mario)
Es wird die Suche nach dem eigenen Weg zwischen zwei Kulturen, die Unsicherheiten, die Schwierigkeiten, das Unverständnis, die erste Liebe, die Liebe im Allgemeinen, die Entdeckung der Sexualität, die cantautori deren Lieder zur Lebensphilosophie werden und mit denen man sich zu identifizieren versucht, da sie ja die Quintessenz des Italienischseins darstellen. Einem Italien der Sehnsucht, das Bild einer fernen Heimat die man nicht kennt aber die immer präsent ist, die manchmal auch zur Last wird. Die corsi und der Kirchenchor werden für den Erzähler schnell wichtiger als das Fussballspielen, denn anders als auf dem Feld kann er an diesen Orten die hübschen italienischen Mädchen kennenlernen, obwohl die sich, wie er später erwähnt, anders als die schweizer Mädchen, zieren. Denn hinter jeder dieser Schönheiten ”lauert” die Familie mit ihrer traditionellen Strenge, die der Liebe Verpflichtungen des fidanzamento, der Verlobung, auferlegt. Mit Katrin, dem schweizer Mädchen, scheint ihm alles viel einfacher und beschwingter.
Mit viel Humor, machmal auch pathetisch-skurriler Natur, werden hier die alltäglichen Abenteuer des Erzählers, der Maria, der Katrin, beschrieben. Eigentlich hätte er nicht komisch oder humorvoll sein wollen, sagt Supino, er hätte ganz einfach die Geschichte eines italienschen Mädchens in der Schweiz niedergeschrieben. Erst später habe er bemerkt, dass diese Situationen, wenn von aussen objektiv betrachtet, eigentlich gar nicht so pathetisch, sondern auch humorvoll seien. Das Traurige sei vielleicht die Erkenntnis, dass es wirklich so gewesen sei.
Canzoni der Sehnsucht und der Erinnerung
Die Erzählung ist, wie schon in der Einleitung erwähnt, narrativ-musikalischer Natur. Lieder der italienischen cantautori wie Lucio Dalla, De Gregori, Bennato, Guccini, um nur einige zu nennen, sind mit dem Romantext verwoben, sind ein wesentlicher Teil der Erzählung. Um die Realität aus welcher die Erzählung hervorgeht zu verstehen, muss man auch über den Stellenwert dieser canzoni im täglichen Leben der italo-schweizerischen Hauptdarsteller nachdenken. Es ist ein ”musikalisches” Spiel der Erinnerung, in dem bestimmte Ereignisse eng mit diesen Liedern, mit diesen Texten, verbunden sind und deren Klänge vergangene Ereignisse hervorrufen. Das Buch enthält nämlich auch eine Diskographie, anstelle einer eventuellen Bibliographie. Schliesslich ist es interessant die Lesung mit der Musik dieser Künstler zu unterstreichen, da sie die Sehnsucht des Erzählers, ja sogar aller in der Schweiz lebenden Italienener*innen ausdrücken. Eine fast phantastische Welt, eine ganz aus Einbildung kreierte, diese so weit entfernte Heimat. Die Realität die man und in der man schlussendlich lebt, ist eine ganz andere, Gegensätzliche.
Der 1965 in der Schweiz geborene Autor Franco Supino hat in Zürich Germanistik und Romanistik studiert. Nach Auslandsaufenthalten, unter anderem in Florenz, lebt und lehrt er heute in seiner Geburtsstadt Solothurn. Mit Musica Leggera, erschienen im Rotpunkt Verlag Zürich und bereits in 2. Auflage, ist ihm ein Meisterwerk gelungen. Mit viel Feingefühl und subtiler Erzählweise drückt er aus, was viele, wenn nicht alle Italiener*innen seiner Generation in sich verspüren. Es sind Gefühle und Stimmungen die jede/r Einzelne in sich trägt, zu überwinden versucht, nie direkt auszusprechen vermag, weil die Auseinandersetzung damit auch schmerzhaft sein kann. Supino hat die richtige Sprache gefunden, und den Mut, dieser Geschichte aller Kinder der zweiten Generation eine humane Wendung zu geben.
Angela Maria Carlucci – Zofinger Tagblatt, 25. Oktober 1996
Musica Leggera
Mit viel Poesie und Einfühlungsvermögen entwirft Franco Supino das Leben einer Generation, die versucht, jenseits von Nationalitäten eine eigene Identität aufzubauen. Ein Roman der „seconda generazione“.
»Hier schreibt einer. Das klingt banal und das scheint selbstverständlich, es ist es nicht. Supino ist ein Buch gelungen, das schon Hunderte vor ihm schreiben wollten, geschrieben haben, an ihm gescheitert sind. […] „Musica leggera“ ist die einfachste und ernsteste Liebesgeschichte der Welt, jene Liebesgeschichte, die auch die unsere war. Ich kenne dieses Buch schon lange, ich hatte nur noch nie die Gelegenheit, es zu lesen, weil wir alle den Mut nicht hatten, das ganz Einfache einfach so zu schreiben.« PETER BICHSEL
MUSICA LEGGERA
Roman
1995, Rotpunktverlag
176 Seiten, Broschur
ISBN 978-3-85869-126-2
Angela ist Sprach- und Kommunikationswissenschaftlerin | Autorin, Referentin, Coach | Entrepreneurin
“Ich liebe Sprachen, Kommunikation, das Empowerment von Menschen und setze gerne neue Impulse. Kommunikation ist meine Leidenschaft.” Folgen auf Twitter @angelacarlucci